Thief

Ich kaufe ein E wie Emil

Ich bin schlecht in Schleichspielen. Also, wirklich schlecht. Das hält mich nicht davon ab, es zu versuchen, aber wo ich schon im Realleben grobmotorisch herausgefordert bin, scheitere ich in der PC-Version erst recht. In Wirklichkeit komme ich nämlich ganz gut klar, ohne mich an Wachen vorbeischleichen zu müssen, und wenn ich über die eigenen Füße stolpere und mir was verstauche, was so einmal im Jahr passiert, heilt das irgendwann wieder, und gut ist. Aber Schleichspiele erfordern Schleichen, vorbei an den Wachen, an der Securitykamera vorbei, ohne bemerkt zu werden. Wird man doch erwischt, bleibt als Lösung meistens nackte Gewalt, und das ist okay für mich. Dann hau ich dem Wächter eben meinen Schraubenschlüssel über den Kopf. Oder dresche mit dem selben Schraubenschlüssel so lange auf die Kamera ein, bis der Alarm vorbei ist. Oder ich nehme die Schrotflinte. Oder, oder, oder, getreu meinem Lebensmotto »Mit Gewalt geht alles besser«.

Die Spiele lassen das zu. Es kann sein, dass es dann schwieriger wird, wenn man eine Leiche verschwinden lassen muss, und natürlich stirbt man leichter, wenn man sich mit Gegnern anlegt, als wenn man einfach dran vorbeischleicht, und man kann nicht mehr das Achievement für »Ohne Blutvergießen« bekommen. Aber man kann das Spiel schaffen … Es sei denn, man befindet sich im Tutorial. Im Tutorial verstehen Spiele keinen Spaß. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst SCHLEICHEN!«, blafft einen die Software an und setzt einen zurück zum letzten Speicherpunkt. So hänge ich seit Ewigkeiten im Tutorial von Deus Ex und schaffe es nicht ins Hauptspiel, wo ich selbst entscheiden kann, was ich als Weg zur Lösung wähle. Wie konnte ich nur denken, dass es ausgerechnet beim Über-Schleicher Thief anders sein sollte?

Drücke E, um das Fenster zu öffnen.

Klar, ich habe es geahnt, dass es hier den ersten Fall für die Kategorie »Let’s Fail« geben würde, als mir der Zufallsgenerator ausgerechnet Thief – Gold Edition ausgespuckt hat, die zwanzig Jahre alte Mutter aller Schleichspiele. Aber wenn schon scheitern, dann mit Stil und unter Ausreizung des neuen Rechners, dessen Graphikkarte endlich mal zeigen soll, was sie drauf hat: So kickte ich den Klassiker und entschied mich für das Remake, das 2014 eher gemischte Kritiken abgeräumt hat. Meine Hoffnung: Wenn es jetzt bei mir nicht klappt mit Heimlich & Co, ist ganz klar das Spiel schuld, nicht ich. Und genau damit sollte ich recht behalten. Ehe mich meine Unfähigkeit zu Schleichen kalt erwischen sollte, verzweifelte ich nämlich an der Steuerung des Spieles. Genauer: an der mehr als unglücklichen Tastenbelegung.

Ich besitze keinen Controller, weil ich noch keinen gefunden habe, mit dem ich als Linkshänderin zurechtgekommen wäre, sondern spiele an der Tastatur. Inzwischen klappt das ganz gut, auch wenn meine rechte Hand wirklich nur ein nutzloses Anhängsel ist und deutlich weniger drauf hat als z.B. die Linke meines Mannes. Bei Spielen, die komplizierte Tastenkombinationn für Moves erfordern, brauche ich immer eine sehr lange Anlaufzeit, bis ich mir das Wichtigste gemerkt habe, aber Laufen mit W, Hüpfen mit Space, Rennen mit Shift, die Standards habe ich drauf, und wenn dann noch Kauern, Lehnen, etc. dazukommen, kann ich das lernen. Aber Thief verlangt gar nicht, dass ich zig Tasten auswendig lernen muss – es packt so ziemlich alle Funktionen auf eine einzige Taste, und das ist die Pest.

In meiner Kindheit im Münsterland spielten wir eine Variante des Versteckspiels, die »E Kaputt« hieß, und an diesen Namen fühle ich mich heute erinnert. Alles ist E. Nehmen, benutzen, Schloss knacken, Fenster öffnen, stehlen, durchs Schlüsselloch schauen. Zum einen ist das blöd, wenn man gerne erstmal verstohlen in den Raum luken möchte, der Dieb aber stattdessen gleich die Tür aufreißt, weil E beides bedeuten kann. Zum anderen sagt das Tutorial nur »Press E«, aber nicht, wie ich es drücken soll. So habe ich mehrere Minuten verzweifelt mit einem zu öffnenden Fenster gekämpft. Den Riegel zu lösen – mit E – war ja kein Problem, aber dann das Fenster aufschieben, um hindurchzusteigen … Ich drücke E. Nichts passiert. Ich halte E fest. EEEEEEEE. Nicths passiert. Ich halte E so lange fest, dass meine Tastatur zu qualmen beginnt. Das Fenster rührt sich nicht. Ich versuche, mit der Maus eine Begleitbewegung durchzuführen und das angeklickte Fenster hochzuschieben, während ich E drücke. Das Fenster bleibt zu. Erst, als ich einen Stakkatotakt E-E-E-E-E-E-E in die Tastatur hacke, beginnt mein Meisterdieb mit der eigentlichen Schiebarbeit. Sonst wäre ich echt nur fünf Minuten nach Spielstart an einem geschlossenen Fenster gescheitert.

Drücke E, um zu spinxen.

Wenn Aktionen nicht E sind, sind sie Leertaste. Nicht nur springen, wie ich das kenne, sondern auch Klettern und der Swoosh, eine mir völlig unverständliche Aktion, mit der ich mich angeblich schneller durch die Schatten bewege, aber in der Praxis genau so herumlaufe wie sonst auch. Aber das Hauptproblem hier ist das Springen. Ich folge meiner Kollegin Erin über die Dächer. Sie springt über einen Abgrung von einem Meter Breite, ich will ihr folgen. Springen im Lauf, das kann ich. Bei Guild Wars 2 schaffe ich auch komplizierte Visten und einfache Jumping Puzzles. Bereits Mitte der Neunziger habe ich mit Ultima Underworld die Kunst des Springens so gemeistert, dass der von mir benutzte Name »Mach Hopp« in den allgemeinen Sprachgebrauch meines Bekanntenkreises eingegangen ist. Ich laufe, beschleunigt durch Shift. Ich nähere mich der Kante. Ich drücke die Leertaste. Mein Meisterdieb bleibt stehen.

Ich meine, schön, dass ich mir offenbar keine Sorgen muss, mit einer unglücklichen Bewegung vom Dach zu fallen. Nur, eigentlich will ich springen. Ich drücke W. Ich drücke Space. Der Dieb steht an der Kante, als handle es sich um »Rumsteh-Simulator 1.0«. Nochmal zurück. Neuen Anlauf nehmen. W. Space. Nix. Nur Space? Da sollte ich wenigstens auf der Stelle hüpfen … Garrett rührt sich nicht. Denkt er, er soll klettern? Will er über den Dachfirst swooshen? Kann er sich nicht entscheiden? Am Ende hilft auch hier, ein Morsemuste in die Leertaste zu hämmern. Nicht ein Tastendruck führt zum Sprung, sondern der Stakkatotakt. Ich fühle mich ziemlich dämlich, wie ein Specht auf die Leertaste einzudreschen, aber endlich schafft Garrett es auf die andere Seite. Ich wollte ein Schleichspiel spielen. Stattdessen bin ich an einen Buttonmosher geraten.

Nachdem ich das Geheimnis von E und Space enträtselt habe, komme ich endlich auch dazu, am Schleichen zu scheitern. Dabei bin ich gar nicht so unglaublich schlecht. Durch das Wasser an der Wache vorbei schaffe ich es in weniger als vierzig Versuchen, nachdem ich raus habe, dass ein kleines Auge mir anzeigt, ob der Wachmann etwas merkt, und so lange stehenbleiben muss, bis die Anzeige wieder weg ist. Im Rumstehen hat Garrett ja jetzt massig Erfahrung, und wenn es mitten in einem Kanal ist … Ich hoffe nur, er zieht sich keine Erkältung zu! Meine Trefferquote mit den Wasserpfeilen, mit denen ich Fackeln löschen soll, ist hingegen so erbärmlich, dass mir ständig die Pfeile ausgehen und ich deswegen neu laden muss.

Dass ich nach über einer Stunde nicht aus dem Tutorial raus bin, weil ich an den letzten beiden Wachen nicht vorbeikomme und das blöde Spiel nochmal einen Speicherstand angelegt hat, nachdem ich meinen vorletzten Wasserpfeil verschossen habe und an einer auswegslosen Stelle festsitze, ist natürlich blöd. Ich fürchte, ich werde nochmal von vorne anfangen müssen, aber nicht heute. Wie erwähnt, lässt meine Frustrationstoleranz zu wünschen übrig. Aber mein Ehrgeiz ist geweckt. So wie kürzlich gemeldet wurde, dass ein blinder Gamer Ocarina of Time durchgespielt hat, will ich als Klutz einmal im Leben ein Schleichspiel schaffen. Und was das angeht, hat Thief vieles, was mir gefällt.

Die Graphik ist schön, auch wenn es meistens zu dunkel ist, um viel zu erkennen, und wenn es nicht dunkel ist, sorge ich dafür, dass es das wird. Von der Handlung habe ich noch nicht viel mitbekommen, nicht in der kurzen Zeit – ich denke, ein erfahrener Spieler hätte das, wofür ich eine Stunde gebraucht habe, in fünf Minuten geschafft – aber ich mag die Sprecher, auch wenn ich vermutlich glücklicher wäre, an Garretts Stelle Erin zu spielen, nicht, weil sie weniger an hat, und auch nicht mal nur, weil ich gerne eine Option auf eine weibliche Spielfigur hätte, aber weil sie vor tödlicher Gewalt nicht zurückschreckt, während Garrett aus Prinzip nur eine Socke mit einem Ziegelstein drin mit sich rumschleppt, um Gegner damit bewusstlos zu schlagen. Aber das ist die Herausforderung des Spiels, und das akzeptiere ich. Es muss auch mal ohne Blutvergießen gehen. Metzeln und Schnetzeln kann ich ein andermal wieder.

Ich werde versuchen, das Spiel weiterzuspielen, ohne fremde Hilfe das Tutorial zu bewältigen und dann Kapitel für Kapitel den Rest. Ich werde von mir hören lassen, wenn es soweit ist. Aber für heute bin ich erstmal genug geschlichen.

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