Bad Writer

Anleitung zum Unglücklichsein

Ich bin, und darauf bin ich stolz, im Hauptberuf Schriftstellerin. Das war mein Traumberuf, seit ich mit zehn, elf Jahren einsehen musste, dass mir in diesem Leben keine Karriere als Seeräuber mehr blühen würde, und ich habe seitdem stetig darauf zugearbeitet, indem ich fleißig eine Geschichte nach der anderen vor die Wand geschrieben habe. Vor etwas über zehn Jahren habe ich, weil ich nichts zu verlieren hatte, den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und seitdem auch das eine oder andere Buch veröffentlicht – ich bin damit weder reich noch berühmt geworden, aber immerhin kennen mich mehr Leute als Autorin denn als Gameblogger. Insofern: Mission accomplished.

Und welches Spiel könnte ich dann besser professionell beurteilen als eines, das nicht mehr und nicht weniger sein will als eine Autorensimulation? Bad Writer nimmt uns mit zu Emily, die ihren Job an den Nagel hängt, auf ihre Ersparnisse zurückgreift und auf die Unterstützung ihrer Frau Cleo, um sich hauptberuflich als Schriftstellerin zu verdingen. Wird sie es einen Monat lang durchhalten, Kurzgeschichten zu schreiben und an Magazine zu verkaufen? Und schafft Bad Writer es, dabei die Lebenswirklichkeit einer Autorin abzubilden? Ich nehme die Antwort mal vorweg: Äh … Nein.

Eine Turzgeschichte schreiben am Tag – das funktioniert höchsten im November.

Im winterlichen Steam-Sale habe ich 3,74 Euro für Bad Writer bezahlt, und das trotz des Themas zugegeben zögerlich – die bislang einzige Steam-Rezi des Spiels meinte, dass es innerhalb von zwanzig Minuten durchgespielt ist, und dafür war es mir eigentlich zu teuer, aber wegen der Thematik und der Aussicht, das Spiel hier unter professionellen Gesichtspunkten zu rezensieren, habe ich dann doch zugegriffen. Das war wohlbemerkt der rabattierte Preis. Regulär kostet es 4,99 Euro, und für das, was es unterm Strich bietet, ist das wirklich zu viel. Ich verstehe, dass auch ein Gamedeveloper von etwas leben möchte, aber wer ist die Zielgruppe von Bad Writer? Autoren. Und wir verdienen selbst nicht genug, als dass wir im Geld nur so schwimmen würden. Es wäre ein nettes Spiel für ein, zwei Euros, aber fünf sind Wucher.

Emily will also Schriftstellerin sein. Und schon von Anfang an zeigt sich, dass ihr die wichtigste Voraussetzung für das Autorenleben fehlt: Sitzfleisch. Als Autor muss man warten können. Ich habe einmal über anderthalb Jahre gewartet, bis sich ein Lektor zu meinem eingereichten Roman geäußert hat, und dann war das eine Absage. Vielleicht sind bei Kurzgeschichten die Wartezeiten ein bisschen kürzer, aber nach einem Monat lässt sich das wirklich noch nicht beurteilen. Aber Emily ist ungeduldig. Sie will alles, und sie will es sofort. Und wenn sie es nicht bekommt, wird sie unglücklich. Das ist nicht gut, denn Emilys Glücklichsein ist die einzige Ressource, über die dieses Spiel verfügt, und wenn die ausgeht, heißt das Game Over. Dann schmeißt Emily die Brocken hin und kehrt zurück in ihren alten Beruf. Wo sie wahrscheinlich besser untergebracht ist als in der Schriftstellerei.

Ein geräumiges Haus haben die beiden ja. Hoffentlich ist es abbezahl.

Außerdem sind Kurzgeschichten nicht das richtige Medium, wenn man vom Schreiben leben will. Mit Kurzgeschichten lässt sich praktisch nichts verdienen – sie werden gegen Belegexemplar in einer Anthologie abgedruckt oder gegen kleines Honorar in einer Zeitschrift, aber leben kann man davon nicht. Aber gut, wir wissen nicht, wie viel Geld Ehefrau Cleo im Monat nach Hause bringt. Ich will nicht behaupten, dass ich mit meinen Romanen überleben könnte, wenn nicht mein Mann ein geregeltes Einkommen hätte. Gönnen wir also Emily – erstmal – die Kurzgeschichten. Wenn das ihre große Leidenschaft ist, bitte. Aber dann will ich kein Jammern hören, wenn es nicht klappt.

Eine Kurzgeschichte am Tag schreiben und im Idealfall auch gleich verkaufen, das ist also Emilys Plan. Nur ist es nicht möglich, dass der aufgeht. Um eine Geschichte zu schreiben, braucht Emily eine Idee (oder besser, mindestens eine) – und die bekommt sie nicht einfach so. Sie wird nicht, wie es mir gerade mal wieder passiert ist, aus einem spannenden Traum wach und beginnt den Tag direkt mit dem Plot für eine Geschichte. Sie muss ihre Ideen recherchieren oder inspirierende Bücher lesen, sich im Wald verlaufen oder Kaffee trinken – und all diese Tätigkeiten haben gemeinsam, dass Emily den ganzen Tag lang nichts anderes mehr macht. Die Frau kann kein Multitasking. Sie ist derart fokussiert, dass sie, wenn sie mit einer Sache anfängt, nichts anderes mehr tut, selbst Kaffeetrinken. Und wenn sie sich dann hinsetzt, um eine Kurzgeschichte zu schreiben, steht sie zwar nicht mehr auf, bis sie damit fertig ist – wofür man sie durchaus bewundern muss! – aber sie verbraucht dabei meistens alle Ideen, die sie hatte, verliert den nächsten Tag ans Ideensammeln, und ist dann wieder unglücklich, weil sie nichts geschrieben hat.

Manchmal würde man Emilys Geschichten gerne lesen. Doch das Spiel generiert nur die Titel.

Überhaupt wird Emily schnell unglücklich. Natürlich, Absagen zu bekommen tut weh, und ich kann verstehen, dass damit ihr persönliches Glücksmeter fällt – aber selbst wenn sie überhaupt keine Mails im Posteingang hat, weil eben nicht jedes Magazin innerhalb eines Tages entscheidet, ob eine Geschichte gekauft wird oder nicht, wird sie genauso unglücklich wie bei einer Absage. Und Social Media sind natürlich das Schlimmste überhaupt. Social Media machen Emily immer unglücklich, selbst wenn einer ihrer Tweets viral geht. Dass Social Media eine wichtige Rolle im Autorenalltag spielen, dass sie oft die einzige Möglichkeit darstellen, mit Kollegen und Lesern in Kontakt zu treten und das Medium sind, das verhindert, dass sich unser Beruf im luftleeren Raum abspielt – geschenkt. In Bad Writer sind Social Media immer böse.

Was macht glücklich? Neue Ideen sind es nicht, da kommen nur Schuldgefühle, weil Emily an den Tagen, an denen sie Ideen bekommt, nicht schreibt. Schreiben macht glücklich, aber nur so ein bisschen. Eine Zusage für eine Kurzgeschichtenveröffentlichung macht glücklich, selbst wenn die nicht bezahlt wird – aber auf die Mehrheit der Aussendungen bekommt man eine Absage, so ist das nun mal. Da ist es egal, ob die Geschichte wirklich, wirklich großartig oder nur so meh ist – und auch, an welche Zeitschrift man sie geschickt hat: Im Hintergrund werkelt ein Zufallsgenerator. So werden nicht nur die Titel von Emilys Geschichten generiert, sondern auch die Liste der möglichen Zeitschriften. Welches Geschichte zum Profil welcher Veröffentlichung passt – für echte Autoren eine wichtige Überlegung! – ist egal, man sucht sich einen Punkt aus der Liste aus, Genre und Inhalt egal.

Die Titel der Zeitschriften sind durchaus nett generiert – aber nichtssagend.

Das einzige, was Emily konsequent und reproduzierbar glücklich macht, ist, wie romantisch, ein Spaziergang mit Cleo. Auch dann tut sie den Rest des Tages nichts mehr, aber sie wird glücklich, weil sie die Zeit mit ihrer Frau verbringen konnte (anders als ein Tag Bingewatching vor dem Fernseher. Das machen sie zwar auch zusammen, aber es macht trotzdem unglücklich). Und damit wage ich, nachdem ich nach zwei nach einer Woche in Depression endenden Misserfolgen endlich einen erfolgreichen Durchgang hatte, ein Experiment: Schafft Emily es, die dreißig Tage durchzuhalten, ohne ein einziges Wort zu schreiben?

So verbringe ich den nächsten Durchgang mit allem außer schreiben. Ich lese inspirierende Bücher, trinke Kaffee und surfe Social Media, und wenn das Glück dabei zu sehr in den Keller geht, drehe ich eine Runde vor der Tür mit Cleo. Dabei sammle ich zwar über zwanzig Ideen – die netterweise nicht verfallen, sondern sich anhäufen lassen – aber ich setze keine von ihnen um, und weil ich nichts schreibe, schicke ich auch keine Geschichten raus. Und es funktioniert. Ich bin so glücklich wie nur was. Nachdem ich dreißig Tage überstanden habe, verkündet Emily, dass ihr das Leben als Schriftstellerin so sehr liegt, dass sie jetzt dabei bleiben will. Auch wenn es schlechter bezahlt ist als ihr alter Job …

Sechsundzwanzig Ideen, kein Wort geschrieben, Happy End

Ich frage mich, was Cleo dazu sagt. Da Emily ein faules, unproduktives Stück ist, wird Cleo jetzt auf Dauer für sie beide aufkommen müssen – und kommt dabei selbst auch kaum noch zum Arbeiten, muss sie sich doch ständig auf Abruf halten, wenn Emily jemanden braucht, der mit ihr in den Park geht, und damit ist auch für Cleo der Tag rum. Bietet das keine Grundlage für Verstimmungen? Mein Mann hat Verständnis, dass mich das Schreiben nicht reich macht. Aber er würde mir eins husten, würde ich ihn als Vollzeit-Glücklichmacher beanspruchen.

So bleibt Bad Writer zwar süß und romantisch, aber unrealistisch. Dass man als Schriftsteller aufpassen muss, wo es um die seelische Gesundheit geht, ist wahr, und auch ich war zwischenzeitlich von meinem vermeintlichen Traumberuf so frustriert, dass ich am liebsten alle Brocken wieder hingeschmissen hätte und es nur deswegen nicht getan, weil ich noch einen Romanvertrag offen hatte, den es zu erfüllen galt. Aber ein anderer, nicht zu verachtender Posten im Autorenleben ist eben doch die Frage nach dem Geld. Emily beschwert sich zurecht, wenn es als Lohn für eine Kurzgeschichte wieder nur ein »Das ist doch Werbung für dich!« bekommt. Glück ist nicht die einzige Ressource, und die Freude über eine Zusage hält dafür länger als einen Tag.

So endet ein Durchgang im Unglück: Drei Geschichten verkauft, aber pfui, sie hat Facebook genutzt.

Meine erste Runde Bad Writer endete damit, dass Emily nach acht Tagen unglücklich die Brocken hingeworfen hat – zu dem Zeitpunkt hatte sie vier Geschichten geschrieben und zwei davon verkauft, in nur acht Tagen, das ist Wirklich kein Grund zum Unglücklichsein. Emily ist in der Tat eine schlechte Autorin, nicht geeignet für diesen psychisch wirklich fordernden Beruf, wenn sie sich so schnell derart entmutigen lässt. Und ist dann in ihrem sicheren Brotjob bestimmt besser aufgehoben. Kurzgeschichten schreiben kann sie nebenher dann immer noch, und auch sie bei Magazinen einreichen: Nicht jedes schöne Hobby muss man gleich zum Hauptberuf machen. Und wenn ihr mich fragt, hat Emily nicht das Zeug zur Vollzeitautorin. Auch nicht nach dreißig Tagen.

Der Autor des Spiels, Paul Jessup, müsste das eigentlich auch wissen. Er ist selbst ein langjähriger Autor, scheint sogar wirklich in erster Linie von Kurzgeschichten zu leben – und doch fühlt sich Bad Writer über weite Strecken an wie sich Klein Fritzchen das Schriftstellerleben vorstellt. Zu vieles ist zu sehr vereinfacht worden – nicht nur die Pixelgraphik ist simpel, sondern eben auch der Inhalt, und ich bin mir sicher, da wäre auch mehr Tiefgang und Realismus möglich gewesen. Verlange ich zu viel? Für fünf Euro, denke ich, darf ich schon ein bisschen mehr erwarten. So habe ich in 52 Minuten alles erreicht, was mir das Spiel zu bieten hatte. Selbst an dieser Rezi habe ich länger geschrieben. Und dafür ist es mir einfach zu teuer.

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